Biografie Erwin Thurnher
Erwin Thurnher wird am 16. Juni 1922 in Dornbirn geboren. Der Vater Franz Josef Thurnher (*1883) ist Webermeister bei der Firma F.M. Hämmerle, dem größten Textilunternehmens seiner Zeit in Österreich. Die Mutter Hilaria, geb. Garzon, kommt als knapp einjähriges und jüngstes von sieben Kindern mit ihren Eltern im Mai 1892 aus italienischen Borgo (Trentino) nach Dornbirn. Während des 1. Weltkrieges lernen sich Hilaria und Franz Josef kennen. 1920 heiraten die beiden. Erwin Thurnher wohnt mit seinen Eltern und dem 4 Jahre jüngeren Bruder Karl (1926-1998) in Dornbirn-Hatlerdorf, Bogengasse 1. Im Haus wohnt noch die ledige Schwester Frieda (1882-1962) von Franz Josef Thurnher. Erwin besucht die Volksschule Dornbirn-Mittelfeld. Die Familie übersiedelt um die Mitte der 1930er Jahre in eines der neu errichteten Einfamilienhäuser in der Dr. Ölz-Straße 14 in Dornbirn. Ab 1932 besucht er die Realschule in Dornbirn-Markt. Während der Schulzeit wächst das Interesse Chemie zu studieren. Im Jahre 1941 maturiert der 19jährige. Danach schreibt er sich für das Fach Chemie in Innsbruck ein.
Am 1. Oktober 1941 erfolgt die Einberufung in die Wehrmacht nach Villach St. Martin zur Grundausbildung. Danach kommt Erwin Thurnher zur weiteren militärischen Ausbildung ins bayerische Grafenwöhr (März/April 1942). Anfang Mai wird die Kompanie für den Kriegseinsatz nach Norwegen verlegt. Ende August 1942 Überfahrt nach Reval und weiter an den Fronteinsatz in die Nähe, der von der Wehrmacht eingeschlossenen Stadt Leningrad. Dann folgt eine Verlegung in den Mittelabschnitt der Ostfront und schließlich nach Millerowo. Während der Einkesselung durch die Russen und dem anschließenden Ausbruch (Mitte Jänner 1943) erleidet er schwere Erfrierungen und entkommt mit einem der letzten Krankentransporte aus der Kriegshölle des Winters 1942/43. Nach langen Lazarettaufenthalten in Krakau und Prag wird er im Spätsommer 1943 als „Schwerkriegsbeschädigter“ aus der Wehrmacht entlassen.
Nach der Entlassung aus dem Lazarett nimmt Erwin Thurnher sein Studium der Chemie wieder auf, muss aber aufgrund der erlittenen Kriegsverletzungen (Amputation des linken Vorderfußes, sowie der Ferse und Teile des rechten Vorderfußes) das Vorhaben aufgeben. Die körperliche Belastung ist zu groß. Im Oktober 1945 wird ihm beim neu geschaffenen Landesinvalidenamt in Bregenz eine Stelle angeboten. Die männlichen Mitarbeiter bestehen anfangs ausschließlich aus sogenannten „Kriegsbeschädigten“. Er wird bald Abteilungsleiter des ärztlichen Dienstes. Die Arbeit ist sehr fordernd, da die Strukturen des Amtes erst geschaffen werden müssen. Die Arbeit ist aber auch sehr interessant. Die Abteilung wird nach einigen Jahren in einer anderen Abteilung integriert, da sämtliche Kriegsinvaliden bald medizinisch erfasst sind. Die Arbeit wird aber nicht weniger, denn in den 1950er Jahren hat jede 4. Familie in Vorarlberg mit dem Amt zu tun.
Zu Weihnachten 1949 schafft sich Erwin Thurnher eine kleine Fotoausrüstung an und beginnt erste Bilder von seiner näheren Umgebung zu machen. Er richtet sich zu Hause - eigentlich in einem winzigen Gartenhäuschen - ein Labor ein um neben chemischen Versuchen auch S/W Negative und Bilder auf Fotopapier zu entwickeln. Akribisch erarbeitet er sich das nötige fotografisch-technische, als auch das kompositorische, aber auch das technische Wissen in Bezug auf die Fotoausarbeitung. Die ersten Aufzeichnungen der Aufnahmen sind noch mit genauen Belichtungszeiten und Blendenzahlen sowie Lichtverhältnisse versehen. Von Familienabenden, Faschingsveranstaltungen, Gruppenbilder von Firmenausflügen, diversen Schnapsschüsse bis zu Passfotos von Bekannten und Freunden ist alles dabei. Im Zentrum stehen aber schon damals Naturaufnahmen und Stimmungsbilder in Vorarlberg. Erwin Thurnher verbessert durch intensive Auseinandersetzung mit der Materie sein fotografisches Schaffen über die Jahre, zieht Bücher zu Rate und holt sich beim Fotografen Otto Schweidler in Dornbirn-Haselstauden - einem guten Bekannten - Rat vom Profi.
Seit dem Frühjahr 1955 kommt es zu einer losen Zusammenarbeit mit dem Landesverband für Fremdenverkehr in Vorarlberg. Die Zusammenarbeit besteht bis zu seinem Tod im September 1971. In dieser Zeit verkauft er 700-800 Fotos an den Verband. 1957 kauft er sich eine weitere Kamera - eine Leica - um das erworbene Fachwissen und die gewonnene Erfahrung technisch besser umsetzten zu können. Er beginnt (ca. 1956) auch auf Dia zu fotografieren. Er bietet seine Bilder auch überregionalen Blättern an. Ab 1957 erfolgt eine Zusammenarbeit mit den Vorarlberger Nachrichten. Es sind - wie er es selbst nennt „halbaktuelle Arbeiten“ – die den beginnenden, rasanten Aufbau des Landes im Bereich Straßenbau, Bau von öffentlichen Einrichtungen, Wohnungsbau, Bahnbau und anderen Bautätigkeiten zeigen.
Gleichzeitig schreibt Erwin Thurnher aber auch über seine Bergreisen in Vorarlberg. Er liebt die Stille der Natur! Die touristische Entwicklung, welche Ende der 1950er Jahre vermehrt auf den Massentourismus setzt, ist von Skepsis begleitet, die in Briefen immer wieder auftaucht. Die Liebe zur Natur ist aber nicht ein Abwenden von den Menschen, welche vielen Kriegsheimkehrern eine Perspektive zur Verarbeitung ihrer Kriegserlebnissen bietet. Bereits in sehr jungen Jahren ist die Natur ein wichtiger Bestandteil seiner Freizeitgestaltung. Nach dem Krieg unternimmt er, trotz der Kriegsverletzungen, lange Wanderungen und Bergbesteigungen, nicht selten alleine. Sein ständiger Begleiter ist sein Gehstock, der ihm dabei Hilfe leistet, auch längere Bergtouren zu meistern. Er bleibt auch sein Leben lang ohne Führerschein. Sein Hinkommen zu den Ausgangspunkten ist die Eisenbahn, der Omnibus und das Moped, später kauft er sich einen Roller. Im nahen Umkreis benutzt er ein Fahrrad, mit dem er auch bei Wind und Wetter jeden Tag zum Bahnhof Dornbirn radelt um nach Bregenz zur Arbeit zu kommen. Auch sein Bruder, Besitzer eines VW Käfer, ist vielfach ein Chauffeur und Assistent bei seinen Bergtouren durch Vorarlberg. Immer wieder nimmt er auch Bekannte und Verwandte mit in die Natur Vorarlbergs. Manche wandern mit ihm stundenlang durch die Bergwelt, mit anderen nutzt er die vermehrten Aufstiegshilfen um ihnen die Schönheit Vorarlbergs nahezubringen.
Was bei der Logistik gespart wird, wird in die Technik investiert. Durch das gesicherte Einkommen im Amt und die vermehrten Auftragsarbeiten, aber auch der Ankauf von Fotomaterial durch den Tourismus und andere Medien, erlaubt er sich in hochwertige Technik zu investieren. Er kauft sich Ende der 1950er zwei baugleiche Leica´s IIIg Gehäuse und 3 Wechselobjektive. Darunter ein Elmar 5 cm Lichtstärke f 2,8 und ein Leitz Hektor 13,5cm mit Lichtstärke f 4,5, um auch Teleaufnahmen machen zu können. Eine umständliche Arbeit mit Sucherkameras damals, die viel Abstraktion und Können abverlangt. Ab den späteren 1950er Jahren werden seine Naturbeschreibungen und Bilder in verschiedenen Zeitungen abgedruckt. Immer öfter wird Erwin Thurnher auch von Bekannten und Freunden gebeten ihre Familien abzulichten. Durch eine moderne, leistungsfähige Blitzanlage sind auch Bilder in Innenräumen möglich. Es entstehen Bilder die heute durchaus als zeitgeschichtliche Schätze bezeichnet werden können, denn sie bestechen auch durch ihre Komposition und ihre technische Qualität.
In den frühen 1960er Jahren kauft er sich ein Tonbandgerät mit Mikrophon und beginnt mit Tonaufzeichnungen im engeren Umkreis. Er beginnt auch Diavorträge zu besprechen. Durch die Anschaffung eines weiteren Tonbandgerätes können Beiträge auch geschnitten werden und er beginnt seine Diavorträge mit akustischer Unterstützung zu ergänzen. Die Vorträge finden bis in die hintersten Tälern des Landes statt. Wichtig sind ihm die Überschaubarkeit und die familiäre Atmosphäre. Bei diesen Vorträgen unterstützt ihn meist sein Bruder Karl beim Transport der Gerätschaft. Mitte der 1960er Jahre wird die Tonaufzeichnung auch mobil: durch einen Kassettenrekorder mit externem Mikrofon von Philips mit der typischen Einknopfbedienung.
Zwei Gebiete des Landes sind in den gut 20 Jahren des fotografischen Schaffens immer wieder Ziel seiner Wanderungen und Aufenthalte: Es ist die Tschengla oberhalb von Bludenz im Gemeindegebiet von Bürserberg, und es ist das Gebiet um die Alpe Laguz im Großen Walsertal. Die Tschengla ist durch seine Arbeit beim Landeskriegsinvalidenamt sowohl Arbeits- und Freizeitgebiet zugleich. Während Laguz Anziehungspunkt durch die herausragende Natur, aber auch die ihm ans Herz gewachsenen Menschen auf der Alpe dort ist. Außerhalb des Landes, gehört seine Liebe Norwegen. Er lernt das Land im Jahre 1942 in Folge seiner Einberufung in die Wehrmacht kennen. Dort lernt er auch Georg Schaller (1919-2002) kennen. Schaller ist Grazer der nach dem 2. Weltkrieg nach Lüdenscheid zieht, der Liebe wegen. Er wird dort Realschullehrer. Gemeinsam werden sie das Land mehrere Male bereisen und die Faszination für Norwegen miteinander teilen. Georg Schaller wird 15 Jahre nach dem Tod von Erwin Thurnher im Jahre 1986 die Kriegserinnerungen von Erwin Thurnher als Buch „In der Hölle von Millerowo“ herausbringen.
Fortsetzung folgt in Kürze...